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2 Ermutigende Gegensätze

Kleines Vorwort zur Woche:

Diese zweite Woche mit den Gedanken und Denkanstößen hat (nach „Schöne Wörter“ in Woche eins) nun die Überschrift „Ermutigende Gegensätze“. Eigentlich sollten es nur „Gegensätze“ werden. Aber eine ermutigende Rückmeldung hat mir nahe gelegt, das Hoffnungsvolle schon in der Überschrift sichtbar werden zu lassen. Nichts Anderes ist zumindest die Absicht dieser kleinen Texte: Dass die Lesenden – in einem fordernden Beruf oder ohne Aufgabe, ob in Haus oder Wohnung, mit Familie oder allein – wenigstens einmal am Tag in dieser schwierigen Zeit einen Hoffnungsschimmer sehen.

Montag, 30. März 2020

Krieg und Frieden

„Krieg und Frieden“ als erster Gegensatz ist gleich ein ziemlicher Klopper. Noch dazu am Montag. Geht’s nicht eine Nummer kleiner? Nein. Denn ein kluger Trost in fast allen Lebenslagen ist der Satz: „Es gibt was Schlimmeres.“ Wer gerade von einem schweren Schicksalsschlag getroffen wurde, mag das oberflächlich finden. Für Trauernde stürzen Lebensentwürfe zusammen und die Welt steht still. Aber in dieser Ausnahmesituation, in der sich die ganze Welt gerade befindet, gilt trotzdem: Krieg ist schlimmer.

Ich bin im Jahr 1976 geboren und weiß um Kriege nur aus dem Geschichtsunterricht, aus den Nachrichten, aus Büchern und Filmen. Es ist ein großes Glück, dass ich noch nie in einem Kriegsgebiet war. Ich arbeite auch nicht in einem italienischen Krankenhaus und musste noch nie entscheiden, ob jemand leben darf oder sterben muss. Dennoch denke ich in diesen Tagen manchmal: Jetzt haltet doch mal den Ball flach! Darum unternehme ich den Versuch, Dinge in ein Verhältnis zu setzen.

  1. Angst. Menschen leben zurzeit in Angst. Die größte Angst ist die, dass Angehörige sich infizieren und sterben (oder man selbst). Nun ist das Virus ist nicht sichtbar. Aber wieviel größer muss die Angst sein, wenn Fliegerstaffeln Bomben abwerfen und die Sirenen heulen?
  2. Todesfälle: Die Zahl der Toten, die am Coronavirus gestorben sind, machen betroffen, die aktuellste Zahl ist 30.105. Das ist weltweit die Einwohnerzahl einer „Mittelstadt“ zwischen Klein- und Großstadt. Die Zahl wird steigen. Aber während des Zweiten Weltkriegs wurden 65 Millionen Menschen getötet. Diese Zahl ist so unvorstellbar hoch, dass Sie nur geschätzt werden kann, und entspricht der Einwohnerzahl von Frankreich. Davon sind wir weit entfernt.
  3. Tote im Verhältnis zu Einwohnerzahl. Im Zweiten Weltkrieg sind mehr als 9,2 % der gesamten Bevölkerung in Deutschland, Soldaten und Zivilisten, getötet worden. Zurzeit sterben in Deutschland ca. 0,5% der Infizierten.
  4. Keine Zerstörung. Im Krieg wird gezielt die Infrastruktur zerstört. Wir sehen dagegen gerade, wie Umstrukturierung funktioniert (Kreuzfahrtschiffe als Lazarett, Schnapsbrennereien stellen Desinfektionsmittel her...)
  5. Keine Gewalt. Kriege setzen eine Gewaltspirale in Gang. Menschen werden gezielt getötet, verstümmelt und verletzt. Wir dagegen stehen vor den Folgen einer neuen Krankheit, die niemand wollte.
  6. Kein Kampf. Wer jetzt gefordert ist, soll helfen. Nicht kämpfen. Wir erleben sogar eine Welle der Hilfsbereitschaft von Menschen, die dazu gar nicht aufgefordert wurden.
  7. Einfluss. Zivilisten können den Verlauf eines Krieges nicht beeinflussen. Aber jeder und jede von uns kann durch verantwortungsvolles Verhalten dazu beitragen, dass sich das Virus weniger verbreitet.

Das ist nicht vollständig, aber ich höre auf. Was fällt Ihnen ein?

Ja, es gibt Angst und Sorgen. Aber ich bleibe dabei: Krieg ist schlimmer.

Ach ja, auch Gott hat dazu durch alle Zeiten hinweg etwas zu sagen: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“ (Jesaja 29,11)

Gott schütze Sie.

Ihre Pastorin Birte Wielage

P.S.: Hier noch ein sehr ermutigender Text des Zukunftsforschers Matthias Horx. Lesenswert!


Dienstag, 31. März 2020

Flucht und das Zuhause

Gestern war das große Ganze im Blick, der Gegensatz zwischen Krieg und Frieden. Heute soll es um einen Ausschnitt davon gehen. In dieser Ausnahmesituation, in der sich die Welt befindet, hilft nicht nur der Grundgedanke „Es gibt was Schlimmeres“. Es hilft auch der Blick auf Teilbereiche dessen, was jetzt so ungewohnt ist.

Es ist richtig, dass zum Schutz aller Menschen – und ja auch zu unserem eigenen! – die Geltung von Grundrechten ausgesetzt ist. Eins davon ist die sogenannte Freizügigkeit, also die freie Wahl nicht nur des Wohnortes, sondern auch des Aufenthaltsortes. Wir sind nicht mehr frei, uns wann wir wollen zu treffen mit wem wir wollen, zu verreisen und unsere Freizeit weiter so zu gestalten wie wir es gewohnt waren. Genau diese Aufzählung zeigt schon auf, wohin der Dienstagsgedanke führen soll. Denn was wir als selbstverständlich erlebt haben, ist auf der Flucht gar nicht denkbar. Darum folgt wieder eine kleine Aufzählung.

  1. Wer fliehen muss, lässt seine schützenden vier Wände zurück, weil sie keinen Schutz mehr bieten. Wir (wenn gerade nicht selbst im Krankenhaus oder obdachlos) sind nun verpflichtet, zu Hause zu bleiben. Den meisten Menschen gelingt es auch dann, wenn die Mittel begrenzt sind, die Wohnung zu einem Ort zu machen, der „schön“ oder „gemütlich“ ist. Diesen Rückzugsort aufgeben müssen, ist etwas grundlegend Anderes als verordnetes Daheimbleiben.
  2. Wer flieht, wird in der Regel von seiner Familie getrennt. Angehörige sind zuvor vielleicht schon in Kriegshandlungen gestorben und fliehen kann nur, wer überlebt hat. Oder die alten Eltern können nicht mit, weil die Strapazen der Flucht zu groß wären. Niemand weiß, ob es ein Wiedersehen gibt. Wir dagegen sehen uns jetzt zwar nicht persönlich, haben aber viele Kontaktmöglichkeiten – und müssen vor allem niemandem einfach seinem Schicksal überlassen.
  3. Wer flieht, kann nicht viel mitnehmen, weil es getragen werden muss. Mit dem Auto wird nur selten geflohen. Was müssten wir alles zurücklassen, wenn wir nicht mehr als einen Koffer und einen Rucksack packen könnten?
  4. Die verordnete Zeit, die jetzt Familien mit Kindern miteinander verbringen, wird in Berichten gerade erstaunlich oft als etwas Schlimmes dargestellt. Ist das wirklich so? Natürlich sind Krisen und Probleme jetzt nicht einfach gelöst. Es wird weiter hinter verschlossenen Türen Gewalt ausgeübt. Aber passiert für viele andere jetzt nicht genau das, was sie sich schon oft gewünscht haben: Mehr Zeit für die Familie haben? Auch gelangweilte und quengelnde Kinder sind nicht so schlimm wie es ist, wenn die eigenen Kinder im Flüchtlingslager spielen müssen oder wenn das eigene Kind auf einem langen Marsch im Flüchtlingstreck erfroren zurückgelassen werden muss. Es leben bei uns noch so viele Menschen, deren Geschwister als Kleinkinder auf der Flucht ums Leben gekommen sind!
  5. Wenn wir zu Hause bleiben, sind wir vor Ansteckung sicher. Wer flieht, ist längst noch nicht in Sicherheit. Das Mittelmeer als Fluchtweg wird längst als größtes Grab der Welt bezeichnet. Wir sterben nicht vom Zuhausebleiben.

Wieder ist das alles nicht vollständig. Aber ich wünsche der Weltgemeinschaft, dass unser Verständnis für Flüchtlinge überall auf der Welt größer wird. Sie zu schützen, ist ein wichtiger Grundsatz, der sich durch die ganze Bibel zieht.

Bleiben Sie gesund und behütet!

Ihre Pastorin Birte Wielage


Mittwoch, 1. April 2020 

Fröhlichkeit und schlechte Laune 

Letzten Freitag war ich auf dem Wochenmarkt. In diesen Tagen ein echter Höhepunkt im Tagesablauf. Was für ein Glück für alle, dass dieser Lebensmittelverkauf im Freien noch erlaubt ist! Ich habe mich auf meine frischen, zartrosa Matjesfilets gefreut. Die habe ich ganz in echt für einen Salat gebraucht, aber ein bisschen war das auch Alibi-Matjes. Denn ich wollte auch mal sehen, wie die Stimmung so ist. Da wäre es ja etwas auffällig gewesen, gar nichts einzukaufen. Ich hatte damit gerechnet, dass die Menschen den Blick gesenkt haben, sich aus dem Weg gehen und schnell wieder nach Hause gehen. Weit gefehlt! Die Stimmung war geradezu fröhlich und ich glaube, das lag nicht nur am Sonnenschein.

Auf dem Pflaster war mit Kreide der einzuhaltende Abstand vor den Marktständen aufgemalt. Aber statt sich darüber zu ärgern, fanden es alle total lustig, dass man kaum erkennen konnte, wer jetzt eigentlich wo ansteht. Hinter mir hat irgendjemand laut gelacht.

Sich auf dem Wochenmarkt sehen können, ohne Einkaufswagenpflicht und Desinfektionsmittel, hatte trotz aller Auflagen und der fehlenden Blumen- und Klamottenhändler etwas Befreiendes. Offenbar kommen jetzt an vielen Orten neue Kunden zu den Wochenmärkten. Ich gehöre auch dazu und werde das „nach Corona“ beibehalten.

Noch ein schönes Erlebnis. Eine ältere Dame, von der ich angenommen hatte, dass sie jetzt den ganzen Tag traurig zu Hause sitzt, weil niemand sie mehr besuchen kommt, klang am Telefon total ausgeglichen und zufrieden. Sie hat sich darüber gefreut, dass ich so lache. Dabei hatte ich nur aus Freude darüber gelacht, dass sie so gelacht hat. Wie schön, dass nicht nur das Coronavirus, sondern auch lachen ansteckend ist.

Und wie interessant, dass in diesen Tagen ein Telefonat schon ein „Erlebnis“ ist. Vielleicht bleibt ja auch das „nach Corona“ so. Ein Telefonat ist weniger als ein persönlicher Besuch. Aber viel mehr als eine schnell dahingetippte Nachricht.

Der Apostel Paulus rät: „Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“ (Römer 12,15) Alles hat seine Zeit! (Lesetipp für heute: Prediger 3,1-15. Worte voller Weisheit, die auch für diese Tage verblüffend gut passen.)

Gut gelaunt grüßt

Ihre Pastorin Birte Wielage


Donnerstag, 2. April 2020

Verzicht und Luxus 

Auf allen Kanälen ist von Verzicht die Rede, im Fernsehen, im Radio, in der Zeitung und auf online-Portalen. Vor allem der Verzicht auf „Shopping“ trifft junge Menschen angeblich hart. Dabei trifft es die, die jetzt kaum noch etwas verkaufen können, doch viel härter.

Aber vielleicht ist die Leere in Straßen und Regalen auch einfach nur sichtbarer als das Virus. Vielleicht ist es auch das Ungewohnte daran, das so fasziniert.

Viel lieber als mir die Augen zu reiben, weil ein paar Nudelsorten ausnahmsweise ausverkauft sind, reibe ich mir in diesen Tagen die Augen darüber, in was für einem Schlaraffenland wir eigentlich leben.

„Leere in Regalen“ ist eine maßlose Übertreibung. Es sind nur wenige Produktgruppen, die vorübergehend ausverkauft sind. Wer kein Mehl zum Brotbacken bekommt, kann sein Brot immer noch beim Bäcker kaufen. Daran, dass die Engpässe bei Grundnahrungsmitteln am größten sind, lese ich eher eine Besinnung auf das Wesentliche ab. Gerade diejenigen, die für sich große Mengen eingekauft haben, zeigen damit letztlich mit dem Finger auf den Luxus, in dem wir leben.

Wenn wir jetzt in langen Schlangen anstehen, dann sind die Schlangen nur um des gebotenen Abstands so lang. Die langen Schlangen in der DDR (räumlich und zeitlich) gab es, weil es überhaupt mal etwas gab. Angeblich stand man an, ohne zu wissen, wofür überhaupt!

Allein das Angebot an Süßigkeiten ist unglaublich. Neulich habe ich in einem Nicht-Discounter festgestellt, dass überschlägig 60 Regalmeter Gummizeug, Bonbons und Schokolade angeboten werden. Kekse und Chips waren nicht einmal mitgerechnet. Das ist alles andere als Verzicht. Für Menschen, die kaum mehr als Reis oder Maisbrei zu essen haben, dürfte das im wahren Wortsinn un-glaublich sein.

Und wem außer den Händlern schadet es, wenn wir Bekleidung und Schuhe jetzt etwas länger tragen, weil ein geplanter Austausch nach Anprobe vor Ort gerade nicht möglich ist?

Alle Waren, die über den täglichen Bedarf hinausgehen, können auf dem Versandweg bestellt werden, online oder offline.

Nach der Pandemie stürmen hoffentlich alle, die jetzt über die fehlenden Ausgeh- und Kulturmöglichkeiten klagen, die Bars, Kinos und Theater. Wieso bloß habe ich den Verdacht, dass viele der Lamentierer schon vorher keine Theatergänger, sondern Sofakartoffeln waren? Solidarität mit allen, die davon leben, wäre ein guter Grund, das nach der Pandemie zu ändern.

Nein, ich bleibe dabei. Es fehlt uns an nichts. Außer an Mundschutz für Menschen, die ihn gerade dringend für ihre Arbeit brauchen würden. Aber das ist ein anderes Thema.

Allen, die sich trotzdem noch Sorgen machen, sei von Jesus gesagt: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? [...] Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.“ (Matthäus 6,25.32b)

Das ist genug. Der ganze, wunderschöne Text Matthäus 6,25-34 findet sich zum Nachlesen hier.

Ihre Pastorin Birte Wielage


Freitag, 3. April 2020 

Angst und Mut

Neulich hat mir jemand begeistert vorgeschlagen: „Du könntest doch auch schreiben, wie aus Angst Mut wird!“ Oh, super Idee, dachte ich, und habe nachgedacht. Leider bin ich zu dem Ergebnis gekommen: Das weiß ich nicht.

Wovon ich aber überzeugt bin, ist dies: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“ (2. Timotheus 1,7) – ein Satz, der gerade vielen Menschen Mut macht.

Dabei ist Angst ja gar nicht per se etwas Schlechtes. Angst lässt uns Gefahr wittern. Sie sorgt dafür, dass wir in bedrohlichen Situationen körperliche Signale aussenden, die andere zum Helfen animieren – am leichtesten erkennbar in der Mimik. Angst schützt auch vor Leichtsinn.

Genau diese Beobachtung hat zu Beginn der Coronakrise zu Rätselraten geführt. Wie kann es sein, dass sich die einen Menschen noch vor allen Ausgangsbeschränkungen kaum noch aus dem Haus trauen, während sich die anderen trotz aller Warnungen vor Ansteckung noch verhalten als wäre nichts passiert? Das liegt wohl daran, dass die Gefahr zunächst noch wenig sichtbar war: weit weg, undramatisch, kaum jemand kannte Infizierte persönlich. Das hat sich langsam geändert. Die unterschiedlichen Reaktionen liegen natürlich auch daran, dass wir (fünf Euro ins Phrasenschwein) alle verschieden sind.

Im Augenblick dürfte Existenzangst für viele Menschen realer sein als Todesangst. So etwas wie gesellschaftliche oder kollektive Todesangst führt – mit dem Geist der Besonnenheit – zu  den sinnvollen Schutzmaßnahmen, durch die möglichst wenige Individuen der einzelnen Staaten und letztlich der großen Weltgemeinschaft krank werden und sterben sollen.

An einer Angststörung erkrankt zu sein, muss sehr leidvoll sein. Körper und Geist reagieren rational betrachtet übertrieben, weil es die empfundene Bedrohung gar nicht gibt. Besonders bei sozialen Phobien kann das die Teilnahme am sozialen Leben unmöglich machen.

Es wäre so schön, wenn sich „Störung“ in diesem Wort nicht auf den erkrankten Menschen bezöge, sondern auf die Angst selbst. Mit dieser neuartigen Angststörung würde die Angst aufgestört, an ihrem zerstörerischen Wirken gehindert und verjagt.

Solche Art „Angststörer“ in unserem Alltag können sein: Tröstende Worte. Das Lämpchen im Kinderzimmer. Menschen, die wichtiger sind als alles Geld der Welt. Der alte Teddybär. Fenchelhonig, der nach früher schmeckt. Hausaufgabe: Finden Sie mit dem Geist der Liebe Ihre eigenen fünf Angststörer.

Vielleicht haben Sie dann auch noch eine Idee, wie aus Angst Mut wird? Anregungen nehme ich gerne entgegen unter [meinVorname].[meinNachname]@kirche-oldenburg.de

Furchtlos grüßt Ihre Pastorin Birte Wielage


Samstag, 4. April 2020

Einsamkeit und Gemeinschaft 

„Zusammen ist man weniger allein.“ Haha. Wer niemanden hat, kann das wahrscheinlich gar nicht lustig finden. Wer unfreiwillig alleine lebt, wer keine (mehr) Familie hat oder keinen Kontakt zu ihr, wem Freundschaften fehlen, ist allein. Dann gibt es kein „Zusammen“. Wahrscheinlich ist das Empfinden, ab wann jemand sich dann auch einsam fühlt, sehr individuell.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen Alleinsein und Einsamkeit. Alleinsein ist ein Zustand. Einsamkeit ist ein Gefühl. Das Alleinsein kann gestaltet und ausgefüllt und bei Kontaktfreudigkeit auch geändert werden. Einsamkeit ist einfach da. Sie übermannt oder überrumpelt einen, manchmal sogar in ganz unerwarteten Situationen. Manchmal kommt sie nur kurz zu Besuch. Bei anderen lässt sie sich gar nicht wieder wegschicken, sondern wird zur Dauermieterin oder besetzt einfach das Haus der Seele.

Als Seel-Sorger*innen fragen wir Pastorinnen und Pastoren uns natürlich, wen Corona gerade alles einsam macht. Wie sehr leiden Menschen, die allein leben, unter den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen? Wie viele Männer und Frauen mit Familie merken gerade, dass sie in ihrer Partnerschaft eigentlich schon länger einsam sind?

Ich fange an zu verstehen, dass die Gleichsetzung von Verzicht auf Geselligkeit und Kontakt mit Einsamkeit eine Verwechslung ist. Der Verzicht bedeutet Alleinsein. Das ist zu bedauern und macht in vielen Situationen auch traurig. Aber diese Zeit kann mit anderen Möglichkeiten überbrückt werden: telefonieren, lange Briefe oder kurze Postkarten schreiben, zu Ostern Päckchen verschicken, oder mit Einsatz von Technik Nachrichten schreiben, Videos schicken und mit den entsprechenden Anbietern Videokonferenzen und Bildtelefonie nutzen. Das alles erhält die Gemeinschaft, die schon immer da war. Ich glaube, dass gerade sogar Kontakte vertieft und Freundschaften neu gepflegt werden – weil Zeit dafür ist. Und weil uns die Vielfalt der Möglichkeiten durch die Umstände neu bewusst wird. Zuneigung braucht Nähe, aber sie wird durch Abstand nicht weniger.

Es gibt noch eine Möglichkeit: beten. Wer wie der Psalmbeter Gott bittet: „Wende dich zu mir und sei mir gnädig; denn ich bin einsam und elend“ (Psalm 25,16) – dem sei gesagt: „Wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan“ (Matthäus 7,8). Gott, der Vater, Mutter und Tröster ist, hat offene Ohren und ein weites Herz. Er ist ein Gegenüber und steht uns zur Seite. Auch beten ist mindestens einen Versuch wert. Der Kontakt ist unbeschränkt.

Ihre Pastorin Birte Wielage